Das böse Erwachen des Südsudans
Glockengeläut und Trommelrhythmen begleiteten den Tagesanbruch des 9. Juli 2011 in Juba. Früh schon zogen Tausende von Menschen durch die Strassen der Hauptstadt des neuen Landes und schwenkten die vielfarbige Flagge des Südsudans. Die Bewohner verbanden die Gründung des jüngsten Staates der Welt mit grossen Hoffnungen.
Zehn Jahre danach scheint nicht bloss der Lack der einst frisch schillernden Autoschilder abgefallen. Denn nur zwei Jahre nach der hart erkämpften Abspaltung vom Sudan geriet der junge Staat Ende 2013 erneut in einen blutigen innerstaatlichen Konflikt. Auslöser war ein Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und Vizepräsident Riek Machar. Sie vertreten die beiden grössten Stämme des Landes, die Dinka und die Nuer, und konkurrierten um die Einnahmen aus den Erdölvorkommen des Landes. In der Folge verloren rund 400 000 Menschen ihr Leben, 3,9 Millionen Südsudanesen, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, wurden zu Flüchtlingen. 2018 beendete ein Abkommen zur Machtteilung die Kämpfe, im Februar 2020 schlossen die Rivalen Kiir und Machar nach mehreren Fehlstarts und kurzlebigen Friedensabkommen einen Einheitsvertrag für eine Koalitionsregierung. Doch die Auswirkungen dieses fünfjährigen Krieges sind noch heute allgegenwärtig, viele der gut elf Millionen Südsudanesinnen und Südsudanesen leben in grosser Not.
Die Hoffnungen, Träume und Wünsche der Bewohner dieses ostafrikanischen Binnenstaates sind längst der Ernüchterung gewichen. Auf einem Spaziergang durch Juba ein Jahrzehnt nach Erlangen der Unabhängigkeit trifft die Korrespondentin auf desillusionierte Menschen.
Im Fotostudio
Ausgangspunkt des Streifzugs durch die Hauptstadt ist das Fotostudio «John Lomoro», das gegenüber der Universität von Juba liegt. Die Schaufenster und das Dach der Blechhütte sind mit ausgebleichten Werbebannern bestückt, die auf das hier zu findende Angebot hinweisen. Im Laden spuckt ein surrender Drucker ein exotisches Ferienfoto nach dem andern aus: Ein Teenager mit schwarzem Talar und Doktorhut posiert vor einem pink-blauen Sonnenuntergang. Ein Leutnant in Uniform sitzt vor dem Eiffelturm. Ein zierliches Mädchen mit Basketball himmelt den neben ihr stehenden LeBron James an. Die traumhaften Szenen sind der Photoshop-Kunst des Inhabers Karurey Hessen zu verdanken. Für 150 südsudanesische Pfund, umgerechnet rund 1 Franken, teleportiert er seine Kundinnen und Kunden für einen Moment weit weg von der vom Krieg gezeichneten Heimat. Karurey Hessen versteht die Wünsche seiner Kundschaft. «Die Menschen wollen an einem Ort posieren, der sie die harte Realität dieses Landes vergessen lässt», sagt er.
Ayey Madut wartet im dunklen Abendkleid und mit einer Hochsteckfrisur auf ihre Minuten vor der Kamera. Sie möchte ihre Mutter zum zehnten Unabhängigkeitstag mit einem hübschen Bild überraschen. An die Geburtsstunde des Südsudans erinnere sie sich so gut wie an die Entbindung ihres Erstgeborenen. «Wir waren stolz und voller Hoffnung», sagt die 35-jährige Dozentin für Gesundheitswesen. «Doch da war auch Melancholie. Es war, als ob wir mit der Abspaltung vom Sudan einen Teil von uns selbst verloren hätten.» Die Nacht zum 9. Juli 2011 hatte sie im Nachtklub «De’Havana» verbracht. Der DJ habe Militärlieder der Streitkräfte des Südsudans aufgelegt, sie habe mitgesungen, bis sie die Stimme verloren habe. Die Liedtexte hatte ihr einst ihr Vater beigebracht, ein Soldat, der im Jahr 2000 während des Sezessionskriegs bei einem Angriff der Zentralregierung des Sudans getötet wurde.
Madut erzählt angeregt, wie die Besucher des Klubs den Countdown zur Geburtsstunde ihrer Nation heruntergezählt hätten, als stünde der Anbruch eines neuen Jahres bevor. Fremde und Bekannte hätten sich jubelnd umarmt: «In dieser Nacht schien alles möglich», erinnert sie sich. Noch vor Sonnenaufgang war die Stadt wieder auf den Beinen, auf dem Weg zu den offiziellen Feierlichkeiten im John-Garang-Stadion. Als dort schliesslich die verwundeten Soldaten in die Arena eingezogen seien, habe sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten können: «Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass mein Vater nicht vergebens gestorben ist», sagt sie.
Im Maleratelier
In der «New Side Area», einer Siedlung neben dem Flughafen, wartet Deng Forbez vor einem dunklen Eisentor. Der 32-jährige Kunstmaler hat auf dem Besuch in seinem Atelier bestanden: «Hier können wir uns freier austauschen als im Büro, wo die Spione der Regierung die Geschehnisse genau verfolgen», sagt Forbez. «Ana Taban» ist ein arabischer Ausdruck, der im Südsudan häufig verwendet wird. Er bedeutet: «Ich bin müde.» «Ana Taban» heisst auch das 2015 von Forbez mitgegründete Künstlerkollektiv. «Wir sind müde vom Krieg, müde von Konflikten, müde von der Flucht», sagt Forbez, und seine Halskette aus Tausenden von Kügelchen, die zur südsudanesische Flagge formiert sind, dreht sich im Kreis. 2013, als der Bruderkampf zwischen den Dinka und den Nuer ausbrach, floh er vorübergehend in den Nachbarstaat Uganda. Seine Eltern blieben im Südsudan und kämpften an der Seite von Präsident Salva Kiir. Forbez sah sie erst bei seiner Rückkehr zwei Jahre später wieder, als Kiir und sein Erzrivale Riek Machar ein erstes Friedensabkommen unterschrieben. Dieser erste Frieden hielt nicht, davon zeugt die Rückwand in Forbez’ Atelier. Die Backsteinmauer zeigt fünf Einschusslöcher, die Kugeln verfehlten den Künstler im Juli 2016 nur knapp.
Das zweite Leben, das ihm an diesem Tag geschenkt worden sei, nutzt der Künstler seither für eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung – ein Ziel, das auch die andern Gründungsmitglieder von Ana Taban verfolgen. «Wir wollen zeigen, dass ein Leben ohne Tribalismus möglich ist», sagt er und plädiert für ein «Miteinander der Ethnien». Das Kollektiv schafft kreative Räume, in denen junge Südsudanesen über Ideen und Lösungen für die Geschehnisse in ihrem Land diskutieren können.
Unter diesen Vorzeichen versteht Forbez auch seine Kunst: Das Bild auf der Staffelei vor ihm zeigt zwei sich gegenüberstehende Figuren. Die eine ist feuerrot angemalt: «Das ist ein Symbol für das Trauma, das in uns Jungen steckt», erklärt der Künstler. «Die Schüsse sind zwar versiegt, aber der Hass in vielen von uns ist immer noch laut hörbar.» Von Zeit zu Zeit übermanne dieser Hass eine Person und quelle aus ihr heraus. Anders ist das bei der in himmelblauer Farbe gefassten Figur: Forbez wünscht sich, mehr wie diese Gestalt zu werden – «frei und leicht».
Derzeit fällt ihm das schwer, immer wieder überkommt ihn die Wut über seine Verhaftung vor ein paar Monaten. Anlass war eine von Ana Taban gestartete Kundgebung gegen die Korruption im Gesundheitssektor. «Die Regierung fürchtet nichts so sehr wie eine Menschenansammlung», sagt Forbez. Umso mehr, seit Demonstrationen im benachbarten Sudan zum Sturz des Langzeitherrschers Omar al-Bashir geführt haben. Die Polizei griff durch und nahm mehrere Ana-Taban-Anhänger fest. Forbez kam zwar schon nach wenigen Stunden wieder frei, doch die Erfahrung hält ihn innerlich noch immer gefangen.
Auf dem Konyo-Konyo-Markt
Im Stadtzentrum herrscht ein pulsierendes Durcheinander: Die wummernden Reggae-Beats aus einem Elektrogeschäft überschlagen sich; Frauen verkaufen Plastiksäckchen voller Zucker, Erdnussbutter oder Kaffee; ein Mädchen streckt den Vorbeilaufenden Hibiskustee in Plastikflaschen entgegen. Mittendrin befindet sich der Verkaufsstand von Salia Akello.* In bunten Plastikkübeln hat die zierliche Frau ihre Tomaten, Zwiebeln, grünen Chilis und Orangen zu Pyramiden aufgetürmt. «Es hat vier Jahre gedauert, bis ich diese Vielfalt an Gemüsen und Früchten anbieten konnte», sagt Akello. Die Verkäuferin und ihre Ware kommen aus Uganda. In Juba erziele sie einen höheren Preis als zu Hause, erklärt die 38-Jährige. Und überhaupt kämen alle Gemüse und Früchte, die auf dem Markt zu sehen seien, ursprünglich aus Uganda oder Kenya: «Wir sind der Garten des Südsudans», sagt Akello.
Es sind die Überschwemmungen, die viele südsudanesische Bauern davon abhalten, ihre Felder zu bestellen. Wenn im Mai die Regenzeit beginnt, dann donnern die Wassermassen des Weissen Nils aus Uganda ins nördliche Nachbarland und überfluten Gebiete, die teilweise so gross sind wie Belgien. Hinzu kommen regionale Gewaltausbrüche, bei denen die Landwirte nicht selten kurz vor der Ernte vertrieben werden. Von den immer wieder aufflackernden Konflikten ist auch Akellos Mann Eric* betroffen. Er arbeitet als Lastwagenfahrer und ist in der Früh mit einer Ladung Melonen auf dem Nimule-Juba-Highway, der Haupttransportroute des Südsudans, angereist. «Die Strecke ist ein Albtraum», sagt er und schaltet sich ins Gespräch ein. Immer wieder errichteten bewaffnete Banditen illegale Strassensperren. «Aus der Ferne hast du das Gefühl, es sei eine gewöhnliche Polizeikontrolle», sagt Eric. Doch wer in die Hände der Banditen gerate, könne froh sein, wenn bloss der Lastwagen geplündert werde, sagt er.
Mitten im Gespräch mit Eric zieht seine Frau plötzlich hörbar die Luft ein. Ein Herr mit abgedunkelter Sonnenbrille hat sich neben dem Stand positioniert und hört die Erzählungen mit. Auf Nachfrage gibt er sich als Agent der örtlichen Kriminalpolizei zu erkennen und erklärt, nur zum Schutz da zu sein, nicht zur Überwachung. Fortan dreht sich die Konversation nur noch um die Suche nach einer Melone ohne Wurmstiche.
Hai-Malakal-Friedhof
Folgt man der Hauptachse im Osten der Stadt in Richtung Weisser Nil, vorbei am neuen Fünf-Sterne-Luxushotel Pyramid, bis dahin, wo aus der geteerten Strasse ein sandiger Weg wird, steht man plötzlich vor einer kamelbraunen Backsteinmauer. Durch ein rund drei Meter grosses Loch steigen hier Tag und Nacht Menschen. Hinter der Mauer befindet sich der Friedhof Hai-Malakal. Auf dem Gelände hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eines der grössten Elendsviertel der Stadt entwickelt: Wacklige Blechhütten stehen auf schlammigem Boden, während die wuchtigen Grabsteine zum Kleidertrocknen, als Sitzablage oder zum Aufbewahren der Kochutensilien genutzt werden. Kinder spielen mit selbstgebastelten Bällen, wenige Meter daneben werden Verstorbene begraben.
Jahrzehntelange Kriege haben Hunderttausende Südsudanesen zu Flüchtlingen gemacht. Die meisten von ihnen fanden Schutz im nahen Ausland. Doch auch in Juba gibt es bis heute 14 Lager, in denen gemäss offiziellen Zahlen rund 330 000 interne Vertriebene untergekommen sind. In Wirklichkeit sind es weitaus mehr, und ständig kommen neue Vertriebene dazu. Winnie Kaku,* eine hagere Frau mit abgewetzten Kleidern, ist eben erst auf dem Friedhof Hai-Malakal gestrandet. Die Viehherde ihrer Familie wurde Anfang Jahr von bewaffneten Dieben gestohlen: «Meine Familie hat an diesem Tag ihre Lebensgrundlage verloren», sagt sie. Zu Fuss hat Winnie Kaku anschliessend die 75 Kilometer aus ihrem Dorf in die Hauptstadt zurückgelegt. Nun teilt sie sich einen Schlafplatz mit der bereits früher hierher geflohenen Familie ihrer Schwester. Während des Erzählens hat sie über der Holzkohle Teewasser aufgesetzt, ab und an greift sie mit blossen Händen ins Feuer, um den Kessel zu justieren. «Ich bin hierhergekommen, weil ich keine andere Wahl hatte und damit die Uno sich um mich kümmern kann», sagt sie. «Ich bin gekommen, um ein neues Leben zu beginnen.» Doch inzwischen möchte Kaku bloss wieder weg. Die Zeltblachen schützten sie kaum gegen den Regen. Zudem gebe es auf dem Friedhof zu viele betrunkene Männer und keine gute medizinische Versorgung. Was Kaku aber am meisten stört, sind die vielen jungen Mädchen, die ohne Hochzeit schwanger werden.
In einer Blechhütte ein paar Meter weiter lebt Peter Gurak, einer der Sprecher der Bewohner dieses Elendslagers. Er selbst floh vor 35 Jahren nach Juba – während des zweiten Sezessionskriegs um die Unabhängigkeit des Südsudans vom Sudan. «Damals mussten wir in der Nacht wegrennen. Ich habe meine Kinder auf dem Rücken bis in die Stadt getragen», sagt Gurak. Einzig auf dem Friedhof war noch Platz für die junge Familie. Als der Südsudan vor zehn Jahren unabhängig wurde, feierte auch Gurak mit den Menschen in den Strassen. «Wir brannten unseren eigenen Schnaps und tanzten, bis es hell wurde», sagt er. Die Hoffnung war gross, den Friedhof bald verlassen zu können. «Doch die Versprechen, die die Regierung nach der Unabhängigkeit machte, wurden alle nicht eingehalten.» Von einer guten Schule, einer Kläranlage und Häusern, die dem Regen standhielten, sei die Rede gewesen. «Heute bete ich bloss noch, dass es meine Kinder einmal besser haben werden», sagt Gurak.
Auf dem Geldschwarzmarkt
Im Herzen der 500 000 Einwohner zählenden Stadt Juba braust einer der zahlreichen weissen Toyota Land Cruiser an den Strassenrand. Noch bevor der Fahrer sein Fenster herunterrollen kann, springen Männer unter ihren bunten Sonnenschirmen hervor, umringen den Wagen und wedeln dem Fahrer mit dicken Stapeln südsudanesischer 500-Pfund-Scheine zu. Jeder hofft, dass der Kunde ihn auswählt, um einen seiner wertvollen 100-Dollar-Scheine einzutauschen. Deng* ist einer der Geldwechsler – seinen vollständigen Namen hält er aus Angst vor der Polizei, die den Geldschwarzmarkt regelmässig stürmt, geheim.
«Die Arbeit hier ist meine einzige Chance auf ein Einkommen», sagt Deng. «Du kaufst und verkaufst und erhältst dabei ein paar Pfund, um die Familie zu ernähren.»
An die Zeit kurz nach der Unabhängigkeit könne er sich noch gut erinnern. «Ich war so stolz auf die neuen, bunten Scheine», sagt Deng. «Endlich hatten wir unsere eigene Währung.» Damals habe er bloss wenige Noten mit sich herumtragen müssen. In der Zwischenzeit braucht er Gummibänder und eine Plastiktasche, um die Notenstapel zusammenzuhalten. Der Wert der Währung befindet sich in einer rasanten Abwärtsspirale. Mitverantwortlich für diese Entwicklung ist auch die wichtigste Einnahmequelle des Südsudans: die Ölproduktion. Diese war in den Jahren des Bürgerkriegs stark eingeschränkt. Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 2018 hofften viele auf eine wirtschaftliche Erholung, 2019 sah es auch danach aus. Doch dann stürzte der Preis für Rohöl an den Weltmärkten – und Dengs Notenstapel wuchsen an.
In der Shishabar am Strassenrand
Adija Acuil sitzt vornübergebeugt auf einem blauen Plastikstuhl in einer der Shisha- und Kaffeebars, die sich über die Strassen ganz Jubas ziehen. Konzentriert kritzelt er auf den Block auf seinen Knien. Der Chefredaktor der Lokalzeitung «Juba Monitor» hat eben angerufen und gefragt, wann die bestellte Karikatur endlich fertig sei. Seither sind Acuils Zeichnungsstriche zügiger geworden: «Ich arbeite am besten, wenn ich den Atem des Chefs im Nacken spüre», sagt er und skizziert mit feinen Strichen einen Cowboyhut – das Markenzeichen des Präsidenten Salva Kiir. Diesen setzt er anschliessend auf einen wuchtigen Stuhl, der die Korruption symbolisieren soll. «Es ist für mich das Schönste, wenn meine Karikaturen die Leute erst zum Lachen bringen, bevor der Kern der Abbildung sie direkt ins Herz trifft.» Herzen gewonnen hat der 56-jährige Sohn zweier Künstler bereits unzählige. Alle paar Minuten winken ihm vorbeiziehende Spaziergänger zu. In dem Land mit einer der weltweit höchsten Analphabetenraten (laut der Uno 65,5 Prozent) sind es oft seine Zeichnungen, mittels deren sich die Menschen über Politik informieren.
Sich über führende Politiker lustig zu machen, hat seinen Preis: Unzählige Male endete Acuils Arbeitstag bereits in Haft – bleiben muss er dort so lange, bis seine Zeitung eine Entschuldigung abgedruckt hat. Letztmals war es im vergangenen Jahr wieder so weit, als seine Karikatur einem Geschäftsmann Bestechlichkeit unterstellte. «Mein Chefredaktor liess sich zwei Tage Zeit, um die Entschuldigung abzudrucken», sagt Acuil. Alltag sind auch die Morddrohungen: «Wir Südsudanesen sind ein indirekt direktes Volk», erklärt Acuil. «Wenn eine Person umgebracht werden soll, dann wird ihr mitgeteilt, dass ihr ein Haarschnitt bevorstehe.» Immer wieder wird ihm unter seinen Beiträgen in den sozialen Netzwerken ein solcher «Coiffeurbesuch» angedroht. Einschüchtern lassen will sich Acuil davon nicht: Angst habe er einzig davor, einmal nicht die Wahrheit zu zeichnen. «Solange ich lebe, möchte ich das Auge der Nation sein», sagt Acuil. Er unterschreibt jede Karikatur mit einem skizzierten Auge.
Wieder im Fotostudio
Im Fotostudio hat der Besitzer Karurey Hessen seine Vorbereitungen für den Unabhängigkeitstag abgeschlossen. Auf dem Markt hat er Dutzende Bilderrahmen eingekauft, sie mit Fotografien bekannter politischer Figuren bestückt und die freien Stellen der Wände in seinem Geschäft damit behängt. Den Kunden begegnen nun die kollektiven Blicke des Präsidenten Salva Kiir und des verstorbenen Rebellenführers John Garang. «Wer im letzten Jahr umgezogen ist, wird den Moment nutzen, um ein Bild zu kaufen.» Hessen hat zusätzliches Personal aufgeboten, denn seine Collage-Künste sind besonders an Feiertagen gefragt. Ganze Familien möchten dieser Tage von ihm in eine ferne, bessere Welt gephotoshopt werden.
Ein gerahmtes Bild von Staatspräsident Kiir und ein Foto von einem Ort weit weg von Juba – es ist dieser Zwiespalt, der in der Hauptstadt des Südsudans kurz vor dem zehnten Nationalfeiertag in der Luft liegt. Die Gefühlslage der Menschen bewegt sich zwischen Nationalstolz und Frustration. Es ist das Dilemma zwischen dem erfüllten Wunsch nach einem eigenen Staat und der Sehnsucht nach einem Land, das doch so anders wäre.
* Voller Name der Redaktion bekannt.