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Sarah Fluck ist freiberufliche Multimedia-Journalistin in Kampala. Entdecke ihre Arbeiten in Text, Fotografie, Audio und Video. Bleib über Instagram und Twitter in Kontakt oder schreibe eine E-Mail.

Reportage, Text

Mit dem Taxi aus der Bürgerkriegs-Misere

Juba, Südsudan — Dut Majak wagt in der südsudanesischen Hauptstadt Juba, was Uber nicht gewagt hat: den Aufbau eines Online-Taxi-Unternehmens.
Ateny Wol, Fahrer beim Online-Taxi-Unternehmen Shilu Ana, bei einer Fahrt durch Juba.

Es sei ein Freitag, der Dreizehnte, gewesen, sagt Dut Majak. Der Südsudanese sitzt in seinem spärlich eingerichteten Büro im Herzen der Hauptstadt Juba. Seine tiefe Stimme trägt einen feierlichen Unterton, als er sich an die Anfänge seiner Firma erinnert.

Er habe an jenem Tag lange auf seinen Computerbildschirm gestarrt, bis über seine App endlich ein erster Kunde eine Taxifahrt gebucht habe. Als es so weit war, stürmte Majak zum Toyota, der frisch gewaschen vor dem Büro stand. Er lenkte den Wagen durch das alltägliche Verkehrschaos in Richtung Flughafen am nordöstlichen Stadtrand. Bei der ersten Fahrt im Dezember 2019 wollte Majak selbst am Steuer sitzen. «Es musste perfekt ablaufen», sagt er.

Eineinhalb Jahre später ist Majaks Kleinbetrieb zu einem Unternehmen mit 65 Angestellten und 17 Taxis angewachsen. Es ist eine erstaunliche Geschichte, die zeigt, was trotz allen Widrigkeiten möglich ist in einem Land, in dem die Euphorie nach der Unabhängigkeit vor zehn Jahren längst der Ernüchterung gewichen ist.

Marktlücke geschlossen

Der öffentliche Verkehr beschränkt sich in Juba fast ausschliesslich auf private Minibusse, Kollektivtaxis und Motorradtaxis. Gerade ausländische Besucher schrecken oft davor zurück, sich in einen Bus oder ein geteiltes Taxi zu quetschen oder auf dem Rücksitz eines Motorrads über die durchlöcherten Strassen zu fahren.

Auf ein Taxi, das Einzelfahrten anbietet, muss man derweil meist lange warten. Zudem kann einer solchen Fahrt gut und gerne eine zwanzigminütige Preisverhandlung vorausgehen – mit ungewissem Ausgang.

Ein Taxiunternehmen, das einen schnellen, erschwinglichen und vor allem sicheren Fahrdienst anbietet, gab es in Juba lange nicht. Dies ist die Marktlücke, die Dut Majak mit seiner Firma Shilu Ana («nimm mich mit») schliessen will.

Der Unternehmer Dut Majak auf dem Parkplatz vor seinem Büro.

Seine Firma habe das Taxifahren im Südsudan einfacher, sicherer und vertrauenswürdiger gemacht, sagt der 40-jährige Geschäftsmann. Seine Kunden stammen mehrheitlich aus Jubas Mittel- und Oberschicht; zudem nutzen auch immer mehr Ausländer den Dienst, der über eine Handy-App funktioniert. Zuletzt führte das Unternehmen pro Monat über 10 000 Fahrten aus.

Auf den sozialen Netzwerken wird Majaks Firma oft als «Uber des Südsudans» bezeichnet. Ihm selbst gefällt der Vergleich mit dem Tech-Giganten aber nicht besonders. Uber gibt es in Afrika seit 2015. Heute ist die Taxi-App in sieben subsaharischen Ländern vertreten, darunter Südafrika, Nigeria und Kenya. Im Südsudan jedoch ist weder die amerikanische Firma noch eine ihrer internationalen Konkurrentinnen präsent. Die anhaltenden Unruhen in dem Land und das Fehlen eines ausgedehnten befestigten Strassennetzes haben die Anbieter wohl von einem Markteintritt abgehalten. «Heisst das etwa, dass der Südsudan kein zuverlässiges und effektives Transportmittel braucht?», fragt Majak.

Kartengrundlage: Openstreetmap, Maptiler via NZZ.

Programmiercodes als Schlüssel aus der Armut

Dass Majak dereinst ein erfolgreicher Geschäftsmann im Südsudan werden würde, war lange nicht absehbar. Er kam 1981 in Khartum, der Hauptstadt des Sudans, auf die Welt. Seine Eltern stammten aus dem Süden des Landes – aus jenem Gebiet, aus dem 2011 der unabhängige Südsudan werden sollte. Zwei Jahre nach Majaks Geburt schloss sich sein Vater den sezessionistischen Kämpfern aus dem Süden an. Majak und seine Mutter siedelten zu Bekannten nach Ägypten über.

Hier wuchs Majak auf, die Heimat seiner Eltern kannte er nicht. «In meiner Kindheit war ich ständig auf der Suche nach meiner Identität», sagt er heute. «Ich wollte mehr sein als ein Flüchtling oder Migrant.» Dass er sich bald für Informatik und Technologie begeisterte, führt er zum Teil auf diese Suche nach einer Heimat zurück.

Als er als Jugendlicher bei Google zum ersten Mal den Begriff «Südsudan» eingab, erhielt er innert Sekunden Zugang zu zahllosen Informationen über sein Land. «Das war für mich wie Magie», sagt Majak. Durch Nebenjobs finanzierte er sich in der Folge ein Informatikstudium. «Das Erlernen der verschiedenen Programmiersprachen war mein Schlüssel aus der Armut.»

Seine berufliche Karriere begann als IT-Fachmann in den Vereinigten Arabischen Emiraten, später arbeitete er in Saudiarabien und in Syrien. Majak mochte seinen Job und das internationale Arbeitsumfeld. Als der Südsudan 2011 die Unabhängigkeit erlangte, war für ihn dennoch klar, dass er nun seine Heimat kennenlernen wollte.

«Das Land war frisch, voller Hoffnung und Möglichkeiten», sagt der 40-Jährige. Das habe ihn angezogen. «Ich wollte etwas für diesen Ort tun, den ich als mein Zuhause anschaute, obwohl ich zuvor nie hier gelebt hatte.»

Majak fand eine Stelle bei einer Bank in Juba. Doch bald brach Krieg aus, die Aufbruchstimmung im Land verlor sich. Und der IT-Spezialist Majak begann, nach anderen beruflichen Möglichkeiten Ausschau zu halten.

Die Krise als Chance

2018 besuchte er eine IT-Konferenz in Indien. Ohne diese Reise, sagt Majak, gäbe es sein Taxiunternehmen heute nicht. Die anderen Konferenzteilnehmer löcherten ihn mit Fragen zu seiner Heimat, wo die Kriegsparteien gerade einen Friedensvertrag unterzeichnet hatten. «Da habe ich realisiert, dass die fehlenden öffentlichen Einrichtungen in Juba eine Chance sein können», sagt Majak. «Dort, wo vieles zerbrochen und unterentwickelt ist, gibt es Entwicklungsräume.» Zurück in der Heimat, kündigte er seinen Job bei der Bank und begann seine App zu programmieren.

Als sein Vater von dem Entscheid erfuhr, brach er für kurze Zeit den Kontakt mit seinem Sohn ab. «In meiner Kultur ist es nicht üblich, eine sichere Stelle aufzugeben», erklärt Majak. Auch bei seinen Freunden stiess er auf wenig Verständnis: Das Internet in der Stadt sei zu schwach und vor allem zu kostspielig. Zudem würden zu wenige ein Smartphone besitzen, geschweige denn Apps verstehen, versuchten sie ihm klarzumachen.

Ein Verkehrspolizist regelt den Strassenverkehr in Juba.

Doch Majak liess sich nicht beirren. Nach vier Monaten stand die erste Version der App, eine Partnerfirma half beim Design. Weil ihm anfangs die Autos für den Dienst fehlten, führte er die ersten Fahrten mit dem Wagen seiner Frau durch. Mit der rasch steigenden Nachfrage konnte er jedoch bald eigene Autos kaufen und Fahrer anstellen.

Majaks Erfolg basiert wesentlich darauf, dass seine Firma die Grundzüge des Uber-Modells den lokalen Umständen angepasst hat: Damit auch Personen ohne Smartphone auf den Service zugreifen können, betreibt Shilu Ana zusätzlich einen Telefondienst. Zudem müssen Majaks Angestellte nicht wie bei Uber mit einem eigenen Auto fahren, sondern können auf eines der Firma zurückgreifen.

Ein bisschen ist Majaks Erfolgsgeschichte aber auch dem Zufall geschuldet: Wenige Wochen vor der Lancierung der Taxi-App im Februar 2020 ging überraschend eine Glasfaserverbindung zwischen Juba und Kenya in Betrieb. Seither sind die Preise für Internetdienste in der südsudanesischen Hauptstadt stark gesunken – und machen den Zugriff auf die App für viele überhaupt erst erschwinglich.

Nach vier Monaten kam der Lockdown

Einer der ersten Fahrer, die Majak nach der erfolgreichen Lancierung seiner App rekrutierte, ist Ateny Wol. Der 30-Jährige hatte sein Betriebswirtschaftsstudium aus finanziellen Gründen abbrechen müssen, bevor er bei Shilu Ana einstieg. Inzwischen hat er im Unternehmen den Aufstieg zum Coach geschafft und bietet als solcher ein einwöchiges Training für neue Fahrer an. Ihnen begegnet Wol in Rollenspielen etwa als quengelnder Gast, der einen rasanten Fahrstil wünscht, oder als Betrunkener, den das Taxi an einer Kreuzung angefahren hat. Ruhe, Geduld, Konzentration und vor allem «Kein Alkohol!», lautet seine Botschaft für seine Neulinge.

Sein Gehalt nutze er nun, um zurück an die Universität zu gehen. «Im Südsudan sind wir auf private Initiativen wie Shilu Ana angewiesen, da die Regierung keine Arbeitsplätze schafft», sagt Wol. Vorgesetzte wie Majak blieben aber eine Seltenheit: «Ich bin ihm besonders dankbar dafür, dass er uns in der Pandemie nicht hängengelassen hat.»

Ateny Wol konnte dank seiner Anstellung beim Taxidienst sein Studium fortsetzen.

Die Betaversion der Shilu-Ana-App war gerade einmal vier Monate in Betrieb, als die Regierung im April 2020 auf die Covid-19-Pandemie reagierte und den öffentlichen Verkehr für mehrere Wochen verbot. «Ich habe kaum noch geschlafen», erinnert sich Majak an diese Zeit.

Schliesslich nutzte der Jungunternehmer die ersten Tage der erzwungenen Ruhe, um seiner App eine Lieferdienst-Funktion hinzuzufügen. Fortan transportierten Majaks Fahrer Essensboxen, Einkäufe, Schulunterlagen und Dokumente durch Jubas Strassen. Auf Entlassungen konnte dadurch verzichtet werden.

Allerdings lassen sich nicht alle Probleme mit ein paar zusätzlichen Zeilen Programmiercode lösen – etwa die hohen Treibstoffpreise und die anhaltende Inflation. «Es ist derzeit schwierig, einen verbindlichen Fahrpreis zu halten», sagt Majak. «Dabei war dies eines unserer wichtigsten Verkaufsargumente.»

Nächster Halt: Syrien

Majak gehört zu jenen Menschen, die bereits vor dem Abschluss eines Projekts vom nächsten träumen. Er sei eigentlich nicht der geborene Geschäftsführer, sagt er und rückt seine Krawatte gerade. Er bevorzuge das Entwerfen neuer Apps – am liebsten allein.

Dann zieht er wortlos einen Karton mit Bleistiftskizzen aus einer Schublade hervor: Er möchte Shilu Ana in ein Land bringen, das mit dem Südsudan den Schmerz über einen jahrelangen Bürgerkrieg teile: «Bis Ende Jahr eröffnen wir eine Zweigstelle in Syrien.»

Majak kennt das Land noch aus seiner Zeit bei der IT-Firma in Dubai. Damaskus kämpfe heutzutage mit ähnlichen Herausforderungen wie Juba. Doch ihn ziehe auch noch etwas anderes zurück nach Syrien: «Ich vermisse die Abende in Damaskus – Chai trinken am Barada bei Sonnenuntergang.»